Der Mythos vom "buddhistischen Antisemitismus"

29.09.2022

Ein Beitrag in der Jüdischen Allgemeinen bedarf einer Richtigstellung. Darin behauptet der Verfasser Christopher Schilling dezidiert, es gäbe einen buddhistischen Antisemitismus. Kernsatz: "Erschreckende 33 Prozent der Buddhisten zogen es hier vor, keinen jüdischen Nachbarn zu haben."

Aufmerksame Leser würden fragen: Lehnten die Befragten womöglich zu einem ähnlichen Prozentsatz auch Christen oder Muslime als Nachbarn ab? Eine Antwort findet sich in dem Artikel nicht, und auch eine Nachfrage beim Autor konnte dieser nicht beantworten.

Also mal schauen, woher er seine Zahlen hat: Von Prof. Arno Tausch aus Innsbruck. Mit ihm hatte ich einen längeren Schriftwechsel und ein freundliches, kollegiales Telefonat. Im Ergebnis bestätigte mir Tausch, was ich aus den unübersichtlichen statistischen Quellen bereits herausgefunden hatte:

1) Zwar lehnten 33% der befragten Buddhisten jüdische Nachbarn ab. Dieselbe befragte Gruppe von Buddhisten lehnte jedoch zu 44% auch muslimische Nachbarn ab. (Das findet sich auch in: Arno Tausch, Stanislaw Obirek - Global Catholicism - Tolerance and the Open Society - An Empirical Study of the Value Systems of Roman Catholics, p. 83.)

2) Die diesbezügliche Befragung von Buddhisten wurde nur in Südkorea und Japan durchgeführt.

3) Die Befragungen erfolgten im Jahr 2005.

4) Die Zahl der Befragten ist mit 592 Personen relativ klein.

Es handelt sich bei den Ressentiments der Befragten also offenbar um eine Art Rassismus (oder genauer: um buddhistischen Chauvinismus). Sie möchten schlicht keine Nichtbuddhisten als Nachbarn. Das ist selbstverständlich kritikwürdig, und tatsächlich wird der Buddhismus hierzulande allzu gerne romantisiert (auch seine tibetische Variante). Gerade in Südkorea sowie Japan finden wir einen besonders stark ausgeprägtem buddhistischen Chauvinismus – in Thailand etwa würden die Zahlen gewiss besser aussehen. 

Es ist indessen manipulativ, dabei nicht zu erwähnen, dass Muslime als Nachbarn zu einem sogar noch höheren Prozentsatz abgelehnt wurden. Unkritisch von einem buddhistischen Antisemitismus zu sprechen, ist also irreführend. Vielleicht passt ein sarkastisches amerikanisches Bonmot ganz gut zur Problematik: "Antisemitism is when you can't stand the jews more than it is natural." Tatsächlich erreichte der Antisemitismus außerhalb der christlichen und islamischen Welt niemals eine gesellschaftliche Relevanz. 

Die Rede von einem angeblichen buddhistischen Antisemitismus zeugt zunächst davon, wie wenig verbreitet die Erkenntnis ist, dass Antisemitismus eben keine Spielart des Rassismus ist. 

Eine solche Rede dient gerade in der (post-)christlichen Gesellschaft auch der Schuldentlastung ("Die Buddhisten sind auch nicht besser!"). Zudem macht sie impizit die Juden selbst für den Antisemitismus verantwortlich. Denn wenn es Antisemitismus in jeder Gesellschaft (und zu jeder Epoche) gegeben hat, muss seine Ursache wohl, so der Subtext der Behauptung, in einem spezifisch jüdischen Charakter liegen, nicht im Charakter des Antisemiten. Antisemitismusfreie Gesellschaften oder Epochen darf es in den Augen des Antisemiten daher nicht geben.

Im Bild: Leonard Cohen, der für fünf Jahre buddhistischer Mönch war.